Mountainbiken und Wildtiere – was passiert wirklich im Wald?
Helm auf, raus aus dem Alltag, rauf aufs Rad: Für viele ist Mountainbiken in den Bergen purer Genuss. Doch während wir über wurzelige Trails rollen, leben um uns herum Tiere, die diesen Wald als Rückzugsraum brauchen. Wie gut verträgt sich unser Freizeitspaß mit ihren Bedürfnissen?
Genau dieser Frage ist ein Forschungsprojekt in der Tegernseer Region nachgegangen – unterstützt durch unseren Verein. Die Wildtierökologin Dr. Fabiola Iannarilli vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie hat gemeinsam mit ihrem Team untersucht, wie Wildtiere auf einen vielgenutzten Mountainbike-Trail reagieren: meiden sie die Nähe zum Weg, verschieben sie ihre Aktivitätszeiten – oder kommen sie mit der Situation erstaunlich gut zurecht?
Was wurde untersucht?
Das Forschungsgebiet lag in einem bewaldeten Gebiet in der Tegernseer Region in Oberbayern. Dort verläuft ein etwa 7,5 Kilometer langer Mountainbike-Trail durch den Wald. Um die Tiere nicht zusätzlich zu stören, setzte das Team auf unauffällige Technik: Kamerafallen, die automatisch auslösen, sobald sich ein Tier davor bewegt – Tag und Nacht, bei jedem Wetter.
Insgesamt wurden 36 Fotofallen installiert, in neun Gruppen über das Gebiet verteilt. In jeder dieser Gruppen hingen vier Kameras in unterschiedlichen Abständen vom Trail: ganz nah am Weg (ca. 5 Meter), etwas weiter weg (40 Meter), und dann noch einmal in 100 Metern und bis zu 150 Metern Entfernung. So ließ sich vergleichen, ob Tiere die unmittelbare Nähe des Trails anders nutzen als ruhigere Bereiche tiefer im Wald.
Der Beobachtungszeitraum war ungewöhnlich lang: Von August 2021 bis Juli 2023 liefen die Kameras fast durchgehend. Am Ende kamen rund 13.900 „Kameratage“ zusammen – eine enorme Datenmenge, die anschließend sorgfältig ausgewertet und geprüft wurde.
Wer tappte in die Kamera?
Die Fotofallen zeigten eindrucksvoll, wie vielfältig das Tierleben in unseren Wäldern ist. Besonders häufig waren:
• Rothirsche, die majestätischen „Könige des Waldes“
• Rotfüchse, als flexible Überlebenskünstler
• Rehe, die vielen Spaziergängern vertraut sind
Daneben wurden unter anderem Gämsen, Eichhörnchen, Dachse sowie Baum- und Steinmarder erfasst. Und natürlich tauchten auch immer wieder Hunde auf, die mit ihren Menschen unterwegs waren.
Schon dieser Blick in die Daten zeigt: Das Gebiet ist ein wichtiger Lebensraum für viele Arten – und eben nicht nur eine „Freizeitkulisse“ für uns Menschen.
Wie wurde ausgewertet?
Die Forschenden haben drei zentrale Fragen gestellt:
1. Wo halten sich die Tiere auf? Gibt es einen Unterschied zwischen Bereichen direkt am Trail und weiter entfernten Waldabschnitten?
2. Wann sind sie aktiv? Verändert sich der Tages- und Nacht-Rhythmus der Tiere in der Nähe des Trails – etwa an Wochenenden, wenn besonders viele Menschen unterwegs sind?
3. Wie lange bleiben sie an einem Ort? Huschen sie nur schnell vorbei, oder bleiben sie länger im Sichtfeld der Kamera? Das kann Hinweise darauf geben, ob sie sich gestört fühlen oder eher entspannt verhalten.
Was haben die Tiere gezeigt?
Große Tiere ziehen sich eher zurück.
Bei Rothirschen, Rehen, Füchsen und teilweise Gämsen zeigte sich ein klares Muster: Sie wurden häufiger in größerer Entfernung zum Mountainbike-Trail erfasst. Je weiter weg vom Weg, desto größer die Chance, eines dieser Tiere vor der Linse zu haben.
Das lässt sich so verstehen, dass größere Säugetiere die Unruhe in Trailnähe eher meiden – sei es wegen der Geräusche, der Bewegung, oder weil sie dort weniger Deckung finden.
Kleine Arten kommen besser zurecht.
Überraschend anders sah es bei kleineren Arten wie dem Eurasischen Eichhörnchen und dem Baummarder aus. Sie wurden eher in der Nähe des Trails beobachtet. Mögliche Erklärungen:
• Sie nutzen die Randbereiche des Weges, wo mehr Licht an den Boden kommt und sich andere Strukturen bilden.
• Sie sind weniger empfindlich gegenüber der Störung durch Menschen.
Für Dachs und Steinmarder reichten die Daten noch nicht aus, um sichere Aussagen zu treffen. Hier braucht es weitere Analysen und möglicherweise zusätzliche Untersuchungen.
Ändern die Tiere ihren Tagesrhythmus?
Mindestens genauso spannend ist die Frage, ob die Tiere ihre Aktivitätszeiten verschieben, wenn es rund um den Trail lebhafter wird.
• Rothirsche und Rehe blieben klassische „Dämmerungs-Tiere“ – besonders aktiv in den frühen Morgen- und Abendstunden. Weiter weg vom Trail waren sie insgesamt häufiger zu sehen, aber ihre grundsätzlichen Muster änderten sich nur wenig, auch nicht an Wochenenden.
• Das Eichhörnchen zeigte tagsüber in Trailnähe rege Aktivität – offenbar kommt es mit der menschlichen Nutzung vergleichsweise gut zurecht oder findet gerade dort interessante Strukturen.
• Beim Baummarder zeigte sich dagegen, dass er in Trailnähe am frühen Abend weniger aktiv war als in größerer Entfernung. Das könnte bedeuten, dass er Zeiten meidet, in denen besonders viel los ist.
• Der Rotfuchs verlagert seine Aktivität ein Stück weit: In der Nähe des Trails war er abends (etwa zwischen 19 und 24 Uhr) häufiger aktiv, in den frühen Morgenstunden dafür seltener.
Zusätzlich zeigte der Vergleich von Werktagen mit Wochenenden und Feiertagen, dass manche Arten sensibel auf verstärkten Freizeitverkehr reagieren. In Trailnähe beispielsweise:
• nahm bei Eichhörnchen eine späte Nachmittags-Spitze der Aktivität ab,
• und bei Baummardern ging eine ausgeprägte Aktivität am frühen Abend zurück.
Das sind deutliche Hinweise darauf, dass der menschliche Freizeitdruck im Wald den Tagesablauf einzelner Arten beeinflussen kann.
Kurz da oder länger unterwegs?
Schließlich wurde betrachtet, wie lange Tiere im Sichtbereich der Kamera blieben.
• Bei Rothirschen, Füchsen und Steinmardern waren die Aufenthalte in Trailnähe tendenziell etwas länger, während z. B. Rotwild weiter weg eher kürzere „Besuche“ zeigte.
• Rehe verhielten sich diesbezüglich relativ neutral: Ihre Verweildauer hing nicht stark von der Entfernung zum Trail ab.
• Eichhörnchen und Baummarder wiederum zeigten je nach Wochentag und Entfernung unterschiedliche Muster – ein Hinweis darauf, dass sie feiner auf die Kombination von „Wo?“ und „Wann?“ reagieren.
• Hunde waren in Trailnähe an Wochenenden meist nur kurz im Bild – viele schnelle Spaziergänge, viele Bewegungen –, während sie an weiter entfernt gelegenen Kameras an Werktagen tendenziell etwas länger zu sehen waren.
Wie geht es weiter?
So spannend die Ergebnisse sind: Die Forschenden betonen, dass es sich um vorläufige Ergebnisse handelt. Die beobachteten Muster können auf Störungen durch Mountainbike-Verkehr hinweisen – sie könnten aber teilweise auch dadurch entstehen, dass sich der Lebensraum entlang des Trails von den tiefer im Wald gelegenen Bereichen unterscheidet.
Außerdem verläuft der Mountainbike-Trail an manchen Stellen nur wenige Meter entfernt von einer Schotterstraße, die ihrerseits für Störungen sorgt. Es ist also nicht immer leicht zu trennen, welche Ursache genau zu welchem Effekt führt.
Ein nächster Schritt der Analyse wird darin bestehen, die Daten gezielt mit den Zeiten zu verknüpfen, in denen es konkrete Angaben zur Anzahl der Mountainbiker gibt. So lässt sich genauer prüfen, ob sich das Verhalten der Tiere in Phasen mit hoher Nutzung besonders deutlich verändert.
Was hat das mit der Akademie für Zoo- und Wildtierschutz zu tun?
Ohne die finanzielle Unterstützung durch unseren Verein wäre dieses Projekt in dieser Form kaum möglich gewesen. Die lange Laufzeit, die große Zahl an Kameras und die sorgfältige Auswertung kosten Geld, Zeit und Expertise.
Unsere Förderung hat dazu beigetragen,
• dass über zwei Jahre hinweg systematisch Daten zum Verhalten von Wildtieren in einem stark genutzten Naherholungsgebiet gesammelt wurden,
• dass erstmals in dieser Region wissenschaftlich untersucht wurde, wie Rothirsche, Rehe, Füchse, Gämsen, Eichhörnchen, Marder und andere Arten auf einen Mountainbike-Trail reagieren,
• und dass nun konkrete Hinweise vorliegen, mit denen sich naturverträglicher Freizeitsport besser planen lässt.
Diese Erkenntnisse können später in Empfehlungen einfließen: etwa zur Wegeführung, zu Ruhezonen für Wildtiere oder zu Informationsangeboten für Besucherinnen und Besucher. So hilft unser Engagement, dass Menschen die Natur genießen können – und die Tiere trotzdem Rückzugsräume behalten.