NEPAL
Der Schneeleopard: Leben mit einem Phantom der Berge
Um ihn ranken sich Mythen und Legenden. Kein Wunder: Schneeleoparden sind sehr scheue Tiere und nur selten zu sehen. In den Hochgebirgen Zentralasiens steht die Großkatze an der Spitze der Nahrungskette und nimmt somit eine ökologische Schlüsselrolle ein. Ihr Bestand ist aber zunehmend gefährdet.
Auf der gesamten Welt gibt es nach Schätzungen der Weltnaturschutzunion (IUCN) noch etwa 3000 adulte Schneeleoparden, die ihren Lebensraum immer mehr verlieren – und damit auch ihr Nahrungsangebot. Die Tiere weichen daher immer mehr auf die für sie leichteste Beute aus: auf die Nutztiere der ansässigen Bevölkerung. Seit zwei Jahren unterstützt die Akademie eine Dissertation von Marc Filla, die sich im Rahmen eines Forschungsprojekts der Georg-August-Universität in Göttingen im Rahmen eines Stipendiums der Heinrich-Böll-Stiftung mit den Konflikten zwischen Mensch und Tier beschäftigt. In Zeiten der Pandemie jedoch gestalteten sich die Forschungen in Kooperation mit der nepalesischen NGO “Third Pole Conservancy“ schwierig.
So mussten die geplanten Forschungsaufenthalte aufgrund der geltenden Reise- und Mobilitätsbeschränkungen leider ausfallen, wie Marc Filla schreibt.
„Dennoch war das Jahr 2020 kein „verlorenes“ Jahr für das Schneeleopardenprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, Management-Maßnahmen zu identifizieren, die ein nachhaltiges Zusammenleben von Menschen und Schneeleoparden ermöglichen. So wurden mit tatkräftiger Unterstützung einheimischer Feldassistentinnen und -assistenten fast 400 Interviews mit lokalen Nutztierhaltern durchgeführt. Diese Befragungen fanden in verschiedenen Bereichen der Annapurna Conservation Area statt, die mit einer Fläche von über 7.600 km2 nicht nur Nepals größtes Schutzgebiet darstellt, sondern auch einen hervorragenden Lebensraum für den seltenen Schneeleoparden bietet.
Aus der Auswertung der Befragungen erhoffen sich die Forscherinnen und Forscher nun Erkenntnisse darüber, wann und wo Schneeleoparden bevorzugt Nutztiere wie Yaks, Rinder, Schafe und Ziegen erbeuten. Zudem sollen effektive Schutzmaßnahmen identifiziert werden, die Übergriffe auf Nutztiere verhindern und auf diese Weise Konflikte mit der lokalen Bevölkerung minimieren.
Inzwischen liegen auch die Ergebnisse einer ersten Teilstudie vor, die sich dem Blauschaf (Pseudois nayaur) widmet, das vielerorts das wichtigste natürliche Beutetier des Schneeleoparden ist. Anhand von 2019 durchgeführten Zählungen gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass sich die Bestände des Blauschafs im Untersuchungsgebiet auf einem ähnlichen Niveau bewegen wie vor Ausweisung des Schutzgebiets vor rund 30 Jahren. Dies wäre erfreulich, denn der Rückgang natürlicher Beutetiere wird häufig als eine wesentliche Bedrohung für Schneeleoparden-Populationen ausgemacht und der Druck auf die natürlichen Ressourcen der Annapurna Conservation Area, die in den letzten Jahrzehnten einen kontinuierlichen Anstieg im Tourismus verzeichnet hat, dürfte in diesem Zeitraum zugenommen haben.
Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Ecology and Evolution publiziert und öffentlich einsehbar
(https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ece3.6959).
Im Frühling 2021 sollen die Forschungsarbeiten im nepalesischen Untersuchungsgebiet fortgeführt und auf weitere Regionen des Schutzgebiets ausgeweitet werden. Die finale Auswertung der im Projektverlauf gesammelten Daten soll das Verständnis von Mensch-Schneeleopard-Konflikten verbessern und letztlich ein nachhaltiges Zusammenleben mit der bedrohten Raubkatze ermöglichen.“